Die DKP-Gruppen Idar-Oberstein und Bad Kreuznach, die DKP-Bezirksorganisation Rheinland-Pfalz und der Deutsche Freidenker-Verband Rheinland-Pfalz/Saarland nehmen Abschied von ihrer Genossin und erinnern in ihrer gemeinsamen Todesanzeige an ihren Lebensweg.
Die Trauerfeier mit Urnenbeisetzung fand am Freitag, den 11. Oktober 2024, 14:00 auf dem Friedhof Almerich (Stadtteil Oberstein) in Idar-Oberstein statt.
Volker Metzroth hielt die Trauerrede, die hier nachzulesen bzw. als pdf herunterzuladen ist:
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Karin, liebe Sonja, lieber Stephan Grub und alle Angehörigen, liebe Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde von Milli, sehr geehrte Damen und Herren,
vor knapp einem Jahr feierten viele von uns gemeinsam mit Milli ihren 100. Geburtstag.
Heute sind wir hier, weil wir uns von ihr verabschieden müssen.
Wobei einer besonders fehlt, der damals noch dabei war:
Millis Bruder Wolfgang.
Er verstarb am vergangenen Sonntag.Dazu mein Beileid seinem Sohn Stephan und allen Angehörigen.
Wer Milli kannte, weiß, dass sie in allem gründlich und vorausschauend war. So hat sie dann auch für denjenigen, der die Rede bei ihrer Trauerfeier halten würde, ob von den Freidenkern oder von ihrer Partei, einen Lebenslauf hinterlassen, eine – wie sie selbst schrieb – „gute Grundlage für die Trauerrede“. Da hatte sie mal wieder recht.
Ich kannte Milli und Alfred über 50 Jahre und empfinde es als eine Ehre, hier heute an sie erinnern zu dürfen.
Milli wurde am 28. Oktober 1923 in Oberstein geboren. Sie wuchs mit Mutter, Großvater und Onkel in einer Arbeiterfamilie auf. Das Geld war knapp, auch die Zeit der teils in Heimarbeit beschäftigten Erwachsenen, die Mutter ging Putzen.
Aber man tat alles, damit aus ihr – ich zitiere sie – ein „anständiger Mensch“ wurde.Ab 1930 bis 1938 besuchte sie die Volksschule. Ihr Lehrer, der Herr Hügel förderte sie sehr, empfahl den Wechsel zum Gymnasium, was aber finanziell damals für einen Arbeiterhaushalt nicht leistbar war. So bekam sie dann durch Fürsprache ihres Lehrers 1938 eine kaufmännische Lehrstelle in der Fabrik der Gebrüder Stern. Angesehene Menschen, die bis dahin als Juden in Idar-Oberstein relativ unbehelligt geblieben waren.
Das änderte sich mit der Reichspogromnacht, als auch die Sterns Opfer des faschistischen Rassenwahns und des organisierten Terrors der Nazibanden wurden, teils nach Dachau verschleppt wurden. Zu ihrem Glück fanden die Sterns später in England als Flüchtlinge Schutz und Aufnahme. Im Lichte akueller Diskussionen kein unwesentlicher Fakt. Ihr Betrieb wurde „arisiert“, später von „Galanteriewaren“ auf Rüstungsproduktion umgestellt und bald nach dem Krieg geschlossen.
Milli musste als junge Frau Krieg und Faschismus erleben und deren Folgen in den Nachkriegsjahren. Eine – wie sie schrieb – „schlimme Zeit“, geprägt vom täglichen Kampf ums Überleben, ein paar Kartoffeln, ein Stück Brot. Das prägte ihr weiteres Leben.
Ihre Mutter heiratete 1939. 1943 wurde ihr Bruder Wolfgang geboren. Zu ihm, zu ihrer Schwägerin Brigitte und deren Sohn Stephan hatten sie und Alfred all die Jahre ein inniges Verhältnis. Noch in den letzten Monaten kümmerte sich Wolfgang liebevoll um vieles, trotz eigener Krankheit. Ihren maschinengeschriebenen Lebenslauf ergänzte sie hier handschriftlich, an den Bruder und dessen Familie gerichtet, mit „Nochmals Danke“.
Ihren Alfred lernte sie 1949 kennen. Sie heirateten 1955.
Alfred war handwerklich perfekter Stahlgraveur und kreativer Schmuckentwerfer. Das Zeichnen war eine seiner Stärken. Mit Millis Unterstützung wandte er sich dann als Rentner der Malerei zu, absolvierte ein Kunststudium und machte sich auch mit seinen Bildern in der Region einen guten Namen. Alfred verstarb 2013 völlig unerwartet.
Die Jahrzehnte mit ihm bezeichnete sie als ein „aktives und erfülltes Leben“. Und weiter: Diskussionen habe es oft gegeben, aber der Blick sei immer in dieselbe Richtung gegangen. Dazu gehörte auch, dass beide bis ins hohe Alter sportlich aktiv waren, von Radfahren bis Langlaufski. Als Reisende, nicht als Touristen, besuchten sie viele Länder, interessiert nicht nur an Landschaft und Sehenswürdigkeiten, sondern am Leben der arbeitenden Menschen. Stephan erzählte mir jüngst, dass er schon als Kind öfters mitfahren konnte.
Ihr großer Wunsch nach eigenen Kindern blieb leider unerfüllt.
Von 1949 bis zur Rente ab 1983 arbeitete Milli dann bei der Firma Fissler als kaufmännische Angestellte. Die Arbeit dort machte ihr Spaß, zumal sie als Mitglied der IG Metall und über 20 Jahre Betriebsrätin im Interesse ihrer Kolleginnen und Kollegen Einfluss auf deren Arbeitswelt nahm. Sie war Mitglied der Vertreterversammlung ihrer Gewerkschaft, von Tarifkommissionen, aktiv bei Streiks und Demonstrationen dabei und im Alter gemeinsam mit Alfred im Seniorenausschuss engagiert. Was sie beide auszeichnete war ihre Offenheit für Neues, wenn es um Interessen der Jugend ging.
Milli hatte in eine kommunistische Familie eingeheiratet. Ihr Schwiegervater war als Kommunist ein in der Idar-Obersteiner Arbeiterschaft geachteter Mann. Das weiß ich auch von meiner eigenen Mutter, die, aus Kirchenbollenbach stammend, damals bei Klein und Quenzer arbeitete, wo Alfred später lange Betriebsratsvorsitzender war. Öfters sprach sie voller Achtung vom „alten Bauer“ und auch von Alfred.
Als Kommunistin und Gewerkschafterin nahm Milli an den Kämpfen gegen Krieg und alte wie neue Faschisten teil, gegen die Remilitarisierung in den 50ern, den Vietnamkrieg, die Raketenstationierung im nahen Hunsrück in den 80ern und die Atombomben in Büchel. Auch den dritten deutschen Angriffskrieg in letzten Jahrhundert gegen Serbien bzw. Jugoslawien 1999 verurteilte sie, ebenso das Schüren auch aktueller Kriege durch Waffenlieferungen aus Deutschland. Die Solidarität mit den Opfern der Berufsverbotspolitik war ihr selbstverständlich, hatte sie doch selbst Verfolgung erfahren müssen wie z.B. durch Hausdurchsuchungen in Zeiten der Illegalität der KPD.
Die DKP an der Nahe 1968 mit konstituierend, war sie u.a. auf Kreis- und Ortsebene bis 2023 als Kassiererin tätig. Als in ihrer Stadt geachtete Persönlichkeit trat sie öffentlich für ihre Partei auf, auch durch kommunale Kandidaturen. Die Ereignisse von 1989 und den folgenden Jahren waren für Milli ein großer Rückschlag, aber kein Grund, den von ihr als richtig erkannten Weg nicht weiterzugehen. Trotz alledem! Sie war fest überzeugt, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein wird.
Als Marxistin sah sie die Welt als erkennbar an, brauchte dafür keine von Menschen erdachten Götter usw. So war sie dann auch Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband. Für sich selbst alles Religiöse ablehnend, bekämpfte sie aber nicht die gläubigen Menschen, sondern den vielfältigen Missbrauch von Religion bis hin, dass man immer wieder junge Menschen mit den Versprechen eines guten Platzes irgendwo im Jenseits in Krieg und Tod schickt. Mit vielen religiösen Menschen pflegte sie gute Kontakte, z.B. in der Friedensbewegung.
Mit Spenden unterstütze sie auch die Arbeit sozial engagierter Menschen und Projekte, z. B. die Tafel in Idar-Oberstein.
Den 100. Geburtstag feierte sie gemeinsam mit Familie, Freunden, Nachbarn, Kollegen, Genossen und auch „Offiziellen“ der Stadt Idar-Oberstein bei noch recht guter Gesundheit und geistiger Frische. In den Folgemonaten aber schwanden Millis Kräfte leider schnell, sie musste ihre Wohnung aufgeben und ins AWO-Seniorenzentrum umziehen. Am 19. September verstarb sie dann.
Milli wird uns, ihren Genossinnen und Genossen von den Freidenkern und der DKP als Kämpferin für Frieden und Sozialismus ein Vorbild in Erinnerung bleiben.
Alle, die sie kannten, liebten und schätzten, ihre Angehörigen, Freunde, Kollegen und Nachbarn, werden sie als großartigen Menschen, geprägt von Humanismus und Empathie, auch als Vorbild, in ihrem Gedächtnis bewahren.
Milli und Alfred hatten keine Angst vor dem Tod.
Deshalb will ich meine Rede mit einem Zitat von Immanuel Kant beenden:
Den Tod fürchten die am wenigsten, deren Leben den meisten Wert hat.
Volker Metzroth
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